Montag, 10. Januar 2011

Mein Abschlussbericht

Im August 2009, nur kurz nach meinem Abitur, machte ich mich auf, ein Jahr in Lettland zu verbringen. Mein Praktikum machte ich in der Kreuzkirchengemeinde in Liepāja, der drittgrößten Stadt Lettlands, direkt an der Ostsee gelegen. Diese Gemeinde, die vor einigen Jahren mit der Diakonie zusammengelegt wurde, zählt 92 Mitglieder, die sich alle in irgendeiner Weise sehr aktiv in die Gemeinde einbringen. Der Pastor der Gemeinde ist in Deutschland aufgewachsen und erst nach dem Fall der Sowjetunion wieder nach Lettland zurückgegangen. So hat er noch viele Kontakte nach Deutschland, die die Gemeinde/ Diakonie sehr (z.B. mit Hilfstransporten) unterstützen. Natürlich war er auch für mich anfangs sehr hilfreich, da er mir gerade auch in bürokratischen Angelegenheiten sehr helfen konnte.

Mit allen anderen Menschen kommunizierte ich anfangs mit einen wilden Mix aus deutsch, englisch, Hand und Fuß und lernte nebenbei fleißig lettisch. Nach einem halben Jahr konnte ich dann schon recht gut lettisch – zumindest konnte ich mich gut unterhalten. Ich glaube, dadurch, dass die Letten gesehen haben, dass ich sogar ihre Sprache lernen möchte, wurden die Menschen noch offener und herzlicher als sie ohnehin schon sind. So lernte ich Land, Leute und Traditionen sehr gut kennen.

Meine Lieblingsaufgabe war für mich der Deutschunterricht. Hierzu trafen wir uns einmal in der Woche. Der Kurs war bunt gemischt aus vielen verschiedenen Menschen von Schülern und Studenten bis hin zu Erwachsenen und Senioren selbst Arbeitslose waren dabei. Auch das Niveau war sehr unterschiedlich, was ich zunächst als ein Problem sah, sich aber später als positiv herausstellte. Die Guten halfen den Schlechteren und es kamen immer viele interessante Fragen auf. So wurde aus dem Sprachunterricht viel mehr ein Kulturunterricht. Natürlich haben wir auch etwas gelernt, ich habe aber nicht nach irgendeinem Buch Grammatik gelehrt, sondern das, was gerade passte. So haben wir viele deutsche Lieder gesungen und übersetzt und der gesamte Kurs kennt nun auch meinen Namensvetter Benjamin Blümchen.

Außerdem habe ich mich um die Jugendlichen in der Gemeinde gekümmert. Wir haben dazu eine Jugendgruppe gegründet und uns wöchentlich getroffen. Anfangs waren wir fünf bis sechs Jugendliche und da ist es schon immer sehr aufgefallen, wenn mal jemand krank war oder nicht konnte, aber wir wurden immer mehr, sodass wir am Ende eine tolle Gruppe mit teilweise über zwölf Jugendlichen waren. Unser Programm war sehr abwechslungsreich. Wir haben Freizeiten gemacht, Rollenspiele und Sketche für den Gottesdienst geschrieben, geprobt und aufgeführt oder manchmal sind wir einfach ans Meer gegangen und haben am Meer gespielt. Wir haben zusammen gekocht oder haben uns einfach zusammen Fußball oder Eishockey WM Spiele angesehen. Was uns aber immer begleitet hat und mich sehr geprägt hat, war das Gebet. Wenn es uns gut oder schlecht ging oder wenn wir für andere in der Gemeinde gebetet haben. Das gemeinsame, laute Gebet hat uns erst so richtig zusammengeschweißt. Auch heute trifft sich die Gruppe noch wöchentlich.
Da es in Lettland keinen Religionsunterricht an den Schulen gibt, wie wir es kennen, richten die Kirchen diesen selbst aus. Das nennt sich Sonntagsschule. Hierzu kamen Kinder von 2 - 16 Jahren jeden Sonntag in das Gemeindehaus und wurden unterrichtet. Man kann das vielleicht mit Kindergottesdiensten und dem Konfirmandenunterricht vergleichen. Hier hatte ich die Aufgabe zu helfen, wo immer meine Hilfe benötigt wurde. Auch hier konnte ich meine Erfahrungen, die ich in meiner Heimatgemeinde gesammelt habe, gut einbringen. Zwar hatte ich mit den ganz kleinen Kindern die größten Schwierigkeiten, aber das liegt an der Sprache und wurde mit der Zeit auch viel besser.
Einmal monatlich traf sich bei uns in der Gemeinde eine Rollstuhlfahrergruppe. Diese Treffen gingen meist immer über einen ganzen Tag und neben dem gemeinsamen Essen gab es auch immer ein Programm. So haben die Rollstuhlfahrer z.B. gebastelt, was dann teilweise auch weiterverkauft wurde. Wir haben gemeinsam Gedichte und Geschichten gehört und ich habe meist auch ein paar Spiele vorbereitet. Anfangs war die Gruppe noch nicht so offen und es war ein wenig Überzeugungsarbeit nötig, mit mir zu spielen, aber langfristig wurde das Verhältnis immer herzlicher und die Spiele haben allen Spaß gemacht. Es war immer schön zu sehen, wenn die Menschen ein wenig ihrem Alltag entfliehen und lachen konnten. Das Leben eines Rollstuhlfahrers in Lettland ist leider noch kaum mit dem in Deutschland zu vergleichen. Ein besonderes Highlight nicht nur für mich war das Weihnachtskonzert. Dazu traf ich mich mit den Rollstuhlfahrern zwei Monate mehrmals in der Woche zum Standardtanz. Ein Tanzlehrer hat sich eine Choreographie überlegt und mit uns geübt. Bei jedem Tanzpaar saß einer der beiden Tänzer im Rollstuhl. Man musste sich viel mehr auf die Tanzpartnerin einstellen, jedoch konnte ich auch sehen, was man in einem Rollstuhl noch alles machen kann. Beim Konzert war sogar der Bürgermeister da und es war schön zu sehen, dass die Aufmerksamkeit auch mal auf die Rollstuhlfahrer gerichtet war.
Ansonsten habe ich viel in der täglichen Arbeit der Diakonie geholfen. Die Arbeit war auch sehr unterschiedlich. Mal habe ich in der Kleiderkammer für die Bedürftigen bei der Ausgabe oder beim Kistenschleppen geholfen. Mal habe ich Flyer gestaltet oder Aushänge gemacht. Es gab immer wieder kleinere Projekte, Sitzungen und vieles Weitere, was den Alltag nie langweilig gemacht hat. Das Spannende an der Arbeit war auch, dass die Alterspanne der Menschen, mit denen ich das Jahr über zu tun hatte, so groß war, dass man nie wusste was als nächstes kommt.
Auch in meiner Freizeit habe ich viele tolle Dinge unternommen. Ich habe durch Freizeiten Menschen in ganz Lettland kennengelernt und bin auch viel gereist. So konnte ich das Land sehr gut kennenlernen. Aber auch in Liepāja war immer etwas zu tun. Ob ich nun im Kino für 1,50 € die neusten Filme in Originalsprache vor dem Kinostart in Deutschland sehen konnte oder ich mich mit den sportbegeisterten Letten die verschiedensten Sportarten angeschaut habe.
Viel Spaß hatte ich auch am lettischen Volkstanz, wo ich weitere Menschen neben der Kirche kennenlernen konnte. Ich habe gelernt einen Haushalt zu führen und was ich im Nachhinein sehr gut fand ist, dass ich noch einen richtigen Ofen hatte. Ich hatte nämlich in meiner Wohnung noch keine Heizung und musste den gesamten Winter teilweise zwei Mal täglich Feuer in meinem Ofen machen. Natürlich gab es auch Tage, wo es echt anstrengend war und ich mir gewünscht habe, dass ich nur die Heizung anzuschalten brauche, aber Momente wie diese haben dieses Jahr erst zu dem gemacht, weshalb es für mich so besonders war. Wer kann in meinem Alter in Deutschland schon behaupten selbst für sich geheizt zu haben!
Mittlerweile bin ich schon über ein halbes Jahr wieder in Deutschland und ich kann sagen, ich habe echt etwas bewegt. Den Verantwortlichen in der Diakonie hat dieses Jahr so gut gefallen, dass sie sich als Aufnahmeorganisation beim europäischen Freiwilligendienst beworben haben und nun erwarten sie im Sommer einen Freiwillige/n, der wie ich dort ein Jahr verbringen wird und das wieder ohne Kosten für die Diakonie. Das passt auch zu dem, was ich am meisten gelernt habe: Zu großer Fortschritt auf einmal kann auch schaden! Man muss viele kleine Schritte machen, um ein großes Ziel zu erreichen.
Mein Jahr war sehr facettenreich und dieser Bericht ist nur ein ganz kleiner Einblick in das, was ich erleben durfte. Ich habe ein wunderschönes Jahr gehabt, in dem ich mich persönlich sehr stark weiterentwickelt habe. Ich nehme viele wundervolle Erlebnisse und Erfahrungen mit für mein zukünftiges Leben und werde mit Sicherheit noch oft zurück nach Lettland kommen. Jeder, der mich kennt, hat gemerkt, wie gut mir dieses Jahr tat und ich kann es jedem nur empfehlen sich auch ein Jahr ins Ausland zu begeben.
Ein großer Dank gilt dem Gustav Adolf Werk und allen Menschen, die mich in diesem Jahr unterstützt und gefördert haben.

Liels Paldies - Vielen Dank

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